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Podcast episode 50: Gerda Haßler

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In this interview, Gerda Haßler discusses her career in Romanistik and the history of linguistics in the DDR and re-united Germany.

Gerda Haßler portrait

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References for Episode 50

Haßler, Gerda. 1984. Sprachtheorien der Aufklärung zur Rolle der Sprache im
Erkenntnisprozeß
. Berlin: Akademie-Verlag.

Haßler, Gerda. 1991. Der semantische Wertbegriff in Sprachtheorien vom 18. bis zum 20.
Jahrhundert
. Berlin: Akademie-Verlag.

Haßler, Gerda. 2016. Temporalität, Aspektualität und Modalität in romanischen Sprachen.
Berlin: De Gruyter.

Haßler, Gerda, und Cordula Neis. 2009. Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin: De Gruyter.

Transcript

JMc: Hi, I’m James McElvenny and you’re listening to the History and Philosophy of the Language Sciences Podcast, online at hiphilangsci.net. [00:21] There you can find links and references to all the literature we discuss. [00:25] Today we’re talking to Gerda Haßler about her life and career in Romanistik and the history of linguistics. [00:33] As with some of our previous interviews, we’ll do this one in German. [00:39] Ja, also ich begrüße jetzt Gerda Haßler. Willkommen im Podcast. [00:43]

GH: Vielen Dank für die Einladung. [00:45]

JMc: Ja. Also ich wollte dich fragen, wie bist du zur Romanistik und Linguistik gekommen und was waren die großen Etappen deiner Karriere? [00:55]

GH: So richtig weiß ich das selber nicht, wie ich dazu gekommen bin. [01:00] Sprachen haben in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. [01:05] Ich habe auch die Dialekte in meiner Umgebung beobachtet. [01:10] In dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, wurde ein sächsisch-thüringischer Mischdialekt gesprochen. [01:16]

JMc: OK. Wo genau war das? [01:18]

GH: In Fraureuth, das ist ein Dorf in der Nähe von Zwickau, also in Sachsen. [01:23]

JMc: Ja. [01:24]

GH: Und meine Großeltern haben Sudetendeutsch gesprochen, meine Eltern nur Hochdeutsch, mit mir, also mit den Großeltern nicht. [01:32] Und das habe ich beobachtet und das hat mich einfach interessiert. [01:35] Außerdem war das Tschechische immer im Hintergrund. [01:38] Und ich habe immer meinen Vater gebeten, mir Sätze in fremden Sprachen vorzusprechen. [01:46] Und ja, also das hat mich schon als Kind interessiert. [01:52] In der Schule hat mir der Fremdsprachenunterricht überhaupt nicht gefallen. [01:57] Aber ich konnte mich immer mit den Lehrern arrangieren und Französisch habe ich selbst gelernt, nicht in der Schule. [02:04] Ja, und ich wusste nicht so richtig, was ich studieren sollte. [02:10] Ich habe eigentlich am meisten Mathematik und Latein gemocht. [02:16] Das war aber überhaupt nicht kombinierbar zu DDR-Zeiten. [02:21] Und Lehrer wollte ich auch nicht werden, es war schwierig. [02:26] Dann wurden uns Studienführer gegeben, die die Studienmöglichkeiten in den einzelnen Universitäten zeigten. [02:36] Und in Halle stand da ein Fach Allgemeine Sprachwissenschaft. [02:41] Das hat mich natürlich interessiert. [02:44] Ich habe da hingeschrieben und wurde auch gleich eingeladen zu einem Professor Ulrich Ricken. [02:51] Das wurde dann auch mein Doktorvater. [02:54] Ja, das Gespräch lief aber nicht so, wie ich mir es gedacht hatte. [02:59] Denn er sagte, diesen Studiengang Allgemeine Sprachwissenschaft gibt es gar nicht mehr, weil der Professor, der ihn verantwortet hatte, also Karl Ammer, kurz vorher gestorben sei. [03:14] Ja, da wusste ich auch nicht richtig, was ich sagen sollte. [03:20] Er hat mir aber dann vorgeschlagen, mich für den Lehramtsstudiengang, [03:26] also Französisch und Russisch immatrikulieren zu lassen. [03:31] Da könnte ich auch Linguistik studieren und müsste nicht Lehrer werden. [03:35] Ich könnte dann schon Romanistik und Slavistik studieren, mit dem Schwerpunkt Linguistik. [03:44] Na ja, ich konnte nicht anders, ich habe mich darauf eingelassen. [03:48] Und das ist dann auch so gekommen. [03:52] Also nach einem Jahr eines ziemlich langweiligen Studiums [03:58] habe ich einen Sonderstudienplan bekommen und konnte studieren, wie ich mir das vorgestellt habe. [04:06] Nach drei Jahren habe ich das Studium abgeschlossen [04:10] und wurde Assistentin im Wissenschaftsbereich Allgemeine Sprachwissenschaft, [04:18] den Ulrich Ricken übernommen hatte kurz vorher. [04:23] Ja, es war aber nicht so, dass ich da gleich an meiner Dissertation arbeiten konnte. [04:34] Ich musste sehr viel Technisches machen. [04:38] Ich musste Bücher bestellen, abholen, Diktate aufnehmen auf Französisch, [04:45] was die Sekretärinnen natürlich nicht konnten. [04:49] Und mit dem Dissertationsthema war es so, [04:54] dass das eigentlich an einem Forschungskollektiv Sprache und Gesellschaftsbild angelagert sein sollte. [05:03] Das war zu DDR-Zeiten so. [05:06] Da musste man etwas gesellschaftlich Relevantes forschen. [05:12] Es liefen mehrere Dissertationen dazu. [05:16] Die untersuchten also Klassenbezeichnungen in literarischen Werken. [05:22] Und ich sollte zu La Bruyère eine Dissertation schreiben. [05:27] Hat mir natürlich nicht besonders gefallen. [05:33] La Bruyère ist auch sehr erforscht von Literaturwissenschaftlern. [05:38] Da hätte ich garantiert nichts Neues finden können. [05:42] Und ich habe gedacht, aber so ein bisschen kann ich das, was mich interessiert, vielleicht doch anwenden. [05:50] Ich war damals wirklich sehr strukturalistisch orientiert. [05:55] Das habe ich mir selber angelesen. [05:57] Also ich erinnere mich noch, als ich mit 20 Jahren die Ausgabe von Engler [06:06] des Cours de linguistique générale gelesen habe [06:10] und darin festgestellt habe, dass der publizierte Cours etwas ganz anderes ist. [06:17] Also ich war sehr von strukturalistischen Werken beeinflusst. [06:24] Ich habe natürlich auch Martinet, Potier, Bierwisch und andere gelesen. [06:30]

JMc: Wobei Bierwisch sich mit der generativen Grammatik schon auseinandergesetzt hatte. [06:34]

GH: Ja, ja, natürlich.

JMc: Ja. [06:37]

GH: Ich war auch ein bisschen Generativistin. [06:40] Das habe ich mir auch selbst so angeeignet. [06:44] Ja, aber Ricken kam dann nach kurzer Zeit, als er mir dieses Thema gegeben hatte [06:52] und hat gesagt, ja so ganz habe ich da wohl Ihre Interessen nicht getroffen damit [06:58] und ich könnte doch auch zur Geschichte des sprachlichen Relativitätsprinzips arbeiten. [07:05] Da war ich natürlich sofort einverstanden damit und habe auch begonnen, [07:12] habe die Dissertation eigentlich zügig geschrieben. [07:16] Es kam aber dann dazu, dass ich diesen Bereich verlassen musste, [07:25] weil ich Kritik daran geübt hatte, dass wir praktisch keine inhaltlichen Gespräche hatten, [07:33] dass wir nur über technische Sachen geredet haben. [07:37] Da war ich dann ein Jahr an der Slavistik tätig, habe also Russischunterricht gemacht, nicht mehr. [07:45] Das hat mich aber insofern gerettet, als ich Zeit hatte, meine Dissertation abzuschließen. [07:51]

JMc: Und war das Thema gesellschaftlich relevant? Also, sprachliche Relativität. [07:58]

GH: Nein, nein, nein, war nicht relevant. [08:02] Ich habe es ja nicht in dem Sinne behandelt, wie etwa der Erhard Albrecht aus Greifswald es gemacht hat. [08:09] Der hat ja immer nur gegen Weißgerber und andere argumentiert und das war alles ziemlich flach. [08:17] Ich habe ja eigentlich im 17. Jahrhundert begonnen mit Locke [08:23] und dann insbesondere das 18. Jahrhundert bearbeitet und schließlich bis Humboldt. [08:29] Also das war eigentlich völlig randständig, das war in der DDR nicht so angesehen. [08:37] War mir auch egal. [08:40] Ja, dann hatte ich eigentlich keine Chance, an einer Universität angestellt zu werden. [08:47] Ich hatte durch diese Kritik also einen Makel und sollte mich in der Schule bewerben, [08:54] wo ich eigentlich keine Chancen sah. [08:57] Ich war keine Lehrerin, [09:00] und ich habe mich an der Pädagogischen Hochschule Zwickau beworben, [09:06] wo es einen Sprachwissenschaftler gab, der die Abteilung Fremdsprachen geleitet hat, [09:14] und der war sofort überzeugt von dem, was ich vorstellte und hat eine Stelle für mich organisiert. [09:23] Dort habe ich dann auch meine Dissertation B, also die Habilschrift, begonnen. [09:32] Und ich war auch ein halbes Jahr in Moskau, wo ich viel in der Bibliothek gearbeitet habe, [09:40] auch mit bekannten Sprachwissenschaftlern Kontakt hatte, die mir auch geholfen haben. [09:48] Und ja, Ulrich Ricken wollte mich ja zurück nach Halle haben. [09:54] Es ging nicht so einfach. Auf eine Stelle konnte er mich nicht einstellen. [10:00] Er hat aber eine B-Aspirantur, also eine Aspirantur, ein Habilitationsstipendium, [10:12] über drei Jahre für mich bekommen. [10:15] Und ich bin dann auch nach Halle. [10:18] Viele haben das nicht verstanden, weshalb ich eine unbefristete Stelle an einer Hochschule aufgegeben habe [10:25] und dann für ein Stipendium nach Halle gegangen bin. [10:30] Ja, die Dissertation B war ja schon so halbfertig in Zwickau. [10:38] Nach anderthalb Jahren konnte ich sie auch einreichen. [10:42] Ich musste trotzdem noch ein Jahr auf dieser Aspirantur bleiben, [10:47] bis ich dann zur Dozentin berufen wurde. [10:51] Dozent ist heute jeder, der an einer Universität lehrt. [10:56] Damals war das so ähnlich wie heute eine W2-Stelle, [11:01] also eine Professur, noch nicht des höchsten Grades, aber man konnte selbstständig arbeiten. [11:09] Ich wurde dann auch gleich Leiterin des Wissenschaftsbereichs Romanistik. [11:16] Ich muss vielleicht noch sagen, wie ich mir die romanischen Sprachen angeeignet habe. [11:22] Eigentlich alles im Selbststudium mit Tonträgern, mit Radio und Büchern. [11:32] Ich war nie ein Kurstyp. [11:36] Das hat mich genervt, in Kursen Sprachen zu lernen. [11:41] Ja, also ich habe dann die Romanistik geleitet, [11:47] habe auch Studiengänge für Spanisch und Italienisch entwickelt. [11:54] Bis dahin war es einfach ein Lehrbereich Französisch. [11:58] Es war kein Habilitierter außer mir da. [12:02] Es gab Habilitierte, die waren aber verschwunden. [12:07] Ulrich Ricken hat die allgemeine Sprachwissenschaft geleitet [12:10] und ein Literaturwissenschaftler war in Paris am Kulturzentrum [12:17] und einer war in der Sektionsleitung. [12:20] Und also… [12:22] Die wissenschaftliche Leitung lag dann nur bei mir. [12:27] Ich habe mich dann auch von meinen Forschungsthemen her eigentlich umgestellt. [12:34] Ich wollte dazu forschen, was ich in der Lehre brauchte [12:38] und Geschichte der Sprachwissenschaft war nicht unbedingt so für die Lehre geeignet. [12:45] Ich muss noch dazu sagen, das Thema meiner Dissertation B, [12:50] also der Habilitationsschrift, war ja der semantische Wertbegriff [12:55] vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. [12:58] Also wieder etwas wissenschaftshistorisches. [13:02] Damals war mir überhaupt nicht klar, dass das eigentlich für eine Karriere tödlich ist. [13:08]

JMc: [lacht] [13:09]

GH: Zwei Qualifikationsschriften. [13:13]

JMc: Ja, ich kann ein Lied davon singen. Ja. [lacht] [13:16]

GH: Mir war das völlig egal. [13:19] Es hat mich interessiert. Ich habe dazu gearbeitet. [13:23] Und in der DDR war das auch nicht so. [13:27] Also da konnte man sich das so leisten. [13:30] Und ja, ich wollte also zu etwas forschen, was ich für die Lehre gebrauchen konnte. [13:41] Und da haben mir eigentlich poststrukturalistische Themen gefallen. [13:48] Also ich habe viel zur Intertextualität damals gearbeitet, [13:53] also zu Merkmalen des Zitierens anderer Texte, [13:59] die nicht so vordergründig sind, [14:02] und auf diesem Wege bin ich dann auch zur Evidenzialität gekommen. [14:08] Evidenzialität ist ja die Markierung der Herkunft des Sprecherwissens. [14:15] Das hat mich also schon, ich möchte sagen so, am Ende der 80er-Jahre interessiert. [14:23] Dazu gekommen zu arbeiten, bin ich natürlich erst später. [14:27] Ich hatte in Halle sehr viel administrative Arbeit. [14:34] Man musste ja alles begründen, für alles Anträge stellen. [14:37] Das hat mich Tag und Nacht sozusagen beschäftigt. [14:41] Und dann kam die Wende. Das war noch mal ein Einschnitt. [14:47] Von den am Institut für Romanistik Beschäftigten in Halle ist eine einzige dort geblieben. [14:56] Die meisten wurden aus politischen Gründen entlassen. [15:02] Und diejenigen, die habilitiert waren, also nicht nur Romanisten, [15:07] sondern generell, wurden als Privatdozenten angesehen. [15:14] Also die hatten dann keine Stelle. [15:17] Das war einfach… Das Wort Dozent wurde als Kriterium genommen. [15:27] Die wurden entlassen, sobald Professoren berufen waren. [15:32] Professoren wurden sowieso meistens entlassen, [15:34] es sei denn sie waren kurz vor der Pensionierungsgrenze. [15:39] Da wurden einige übernommen, weil man ja Personal brauchte, [15:43] dass die Universität am Laufen hält. [15:47] Aber nicht aus der Romanistik. [15:48] Da gab es, wie gesagt, nur eine, [15:53] die dann sozusagen die Organisation des Instituts gemacht hat. [15:59] Also so eine Art wissenschaftliche Sekretärin. [16:02] Ja, also ich habe mich damals in Portugal beworben, [16:07] wo ich viele Kontakte hin hatte. [16:10] Da hätte ich auch hingehen können. [16:13] Ich war sozusagen schon auf dem halben Weg. [16:17] Und dann erreichte mich ein Telefonat von meinem Vater. [16:24] Der hat mir gesagt, es ist ein Brief gekommen. [16:29] Da steht drin, dass du einen Ruf nach Dresden hast. [16:34] War ich natürlich sehr froh, aber auch sehr überrascht. [16:38] Denn ich hatte mich beworben. [16:40] Ich hatte auch ein paar Publikationen hingeschickt. [16:42] Ich habe aber nicht vorgetragen. [16:45] Die haben damals das Institut neu aufgebaut [16:49] und sie haben einfach Leute, von denen sie wussten, [16:53] dass sie arbeiten können, berufen. [16:59] Das hing wahrscheinlich damit zusammen, [17:04] dass das Institut in Halle vom damaligen Präsidenten [17:09] der Deutschen Forschungsgemeinschaft, [17:12] Wolfgang Frühwald, evaluiert wurde. [17:16] Und den konnte ich irgendwie überzeugen. [17:22] Er war auch in der Berufungskommission in Dresden. [17:25] Daher stelle ich nach wie vor diese Verbindung her. [17:31] Ja, und dann bin ich nach Dresden gegangen [17:35] und in einem knappen Jahr danach kam dann der Ruf nach Potsdam. [17:41]

JMc: Und war Potsdam irgendwie besser als Dresden? [17:45]

GH: Naja, Dresden ist eine technische Universität. [17:48] Es war mir von vornherein klar, [17:51] dass die Romanistik randständig würde. [17:55] Und dann kommt hinzu, [17:58] dass in Sachsen Leute aus dem Osten nicht verbeamtet wurden. [18:03] Ich war ja noch nicht so alt, [18:06] dass ich mich hätte verbeamtet werden können. [18:10] Die hätten mich jederzeit rausschmeißen können. [18:12] Das war mir nach den Erfahrungen in Halle [18:17] auch nicht so geheuer. [18:21] An sich war das Klima in Dresden gut. [18:23] Auch der Dekan hat sich sehr dafür eingesetzt, [18:26] auch dass ich dahin komme. [18:28] Er hat es aber dann verstanden, [18:30] dass ich nach Potsdam gegangen bin. [18:33]

JMc: Und wann ist Potsdam zu einer Uni geworden? [18:35] Das war damals eine pädagogische Hochschule, oder? [18:38]

GH: 1991 ist die Universität gegründet worden. [18:43] Und es wurden eben auch neue Fächer eingerichtet. [18:45] Romanistik gab es vorher nicht. [18:48] Und da gab es eine Gründungsprofessorin. [18:52] Das war eine Literaturwissenschaftlerin. [18:55] Und ich kam dann zwei Jahre später, also 93, dazu. [18:59] Ja, da habe ich erst mal diese Forschungen eigentlich zu Sachen, [19:05] die ich in der Lehre brauchen konnte, fortgesetzt. [19:08] Ich habe damals viel Textlinguistik gemacht. [19:11] Sachen, die ich heute zum Teil kritisch sehe. [19:15] Obwohl es für die Lehre es ganz gut war. [19:18] Und ich habe erst mal so gut wie nicht [19:23] Geschichte der Sprachwissenschaft gemacht, [19:25] weil ich ja begriffen habe, [19:27] dass das in Deutschland keine Zukunft hat [19:31] und dass man einen anderen Schwerpunkt haben sollte. [19:38] Ich würde meinen Zugang zur Sprachwissenschaft [19:44] nach wie vor als strukturalistisch geprägt ansehen, [19:50] aber ich habe auch viele poststrukturalistische Elemente aufgenommen, [19:55] und ich würde ihn auch als funktional betrachten. [19:58] Also ich habe zu funktionalen Kategorien gearbeitet. [20:03] Zur Aspektualität, zur Modalität. [20:07] Eben auch zur Evidenzialität. [20:09] Und ja, dazu habe ich dann auch viel publiziert. [20:15] Über Jahre fast ausschließlich. [20:20] Dann habe ich mich auch wieder [20:22] der Geschichte der Sprachwissenschaft zugewandt. [20:26] Das hing einfach damit zusammen, [20:28] dass ich eingeladen wurde zu Vorträgen [20:31] und auch zu Publikationen. [20:34] Einladungen, die ich nicht ausschlagen konnte. [20:37] Und dann habe ich gedacht, [20:40] dass man eigentlich zu den Grundbegriffen [20:44] des 17. und 18. Jahrhunderts [20:47] auch mal etwas Systematisches schreiben sollte. [20:51] Daraus ist dann das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe [20:56] des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden, [21:00] das ich ja gemeinsam mit Cordula Neis geschrieben habe. [21:05] Das ist kein Wörterbuch. [21:07] Manche denken, es ist ein Wörterbuch. [21:09] Es sind also monografische Artikel zu einzelnen Begriffen. [21:14] Und es ist wirklich begrifflich orientiert, [21:17] geht nicht von Bezeichnungen aus. [21:20] Cordula Neis war eine meiner ersten Doktorandinnen in Potsdam. [21:27] Sie hat sich von vornherein auch für die Geschichte der Sprachwissenschaft interessiert, [21:35] hat zu der Berliner Preisfrage zum Ursprung der Sprache [21:39] ihre Dissertation geschrieben. [21:41] Das sah ich erst mal als nicht so problematisch an. [21:47] Sie hätte ja dann noch eine andere Habilschrift schreiben können. [21:53] Aber dann hat sie zwei Kinder gekriegt [21:56] und es blieb dann auch bei der Geschichte der Sprachwissenschaft, [22:02] hat sich also kumulativ habilitiert, [22:06] was ihr zum Glück nicht zum Schaden wurde, [22:10] denn sie hat trotzdem eine Professur bekommen. [22:13]

JMc: Ja, und eine ganz gute. [lacht] [22:16]

GH: Aber ich würde es eben niemandem raten, es so zu machen. [22:22]

JMc: [lacht] Ja, und die Einladungen, die du bekommen hast, [22:28] zu der Zeit, waren die aus dem Ausland oder aus Deutschland? [22:31]

GH: Aus dem Ausland.

JMc: OK. [22:33]

JMc: Aus Frankreich hauptsächlich? [22:34]

GH: Aus Frankreich, Spanien, aus Portugal natürlich. [22:38]

JMc: OK. [22:38]

GH: Ich habe die Beziehung zu Portugal nie wirklich aufgegeben. [22:43] Ich habe sogar noch drei, vier Jahre lang dort gelehrt. [22:47] Ich wollte mir das offen halten. [22:49] Ich habe Deutschland nicht getraut, [22:52] also ich war immer so mit einem Fuß in Portugal in den 90er-Jahren. [22:57]

JMc: Also die Kollegen in Frankreich, [23:01] also das sind hauptsächlich die Leute da in Paris, oder? [23:05]

GH: Eigentlich weniger, die die Geschichte der Sprachwissenschaft betreiben. [23:15] Ich hatte viele Kontakte nach Paris-Nanterre. [23:20] Und auch nach Grenoble, eine Zeit lang auch zu anderen Universitäten, [23:28] also natürlich auch zu dem Laboratoire in Paris. [23:37]

JMc: Ja, OK. [23:39] Und ich wollte dich auch noch fragen, [23:42] du hast Französisch hauptsächlich selbst gelernt, [23:45] aber wie war es mit dem Russischen? [23:48] Also du meintest, Tschechisch war immer so im Hintergrund, [23:51] als du aufgewachsen bist. [23:52] Heißt das, dass du schon Kontakt zu den slawischen Sprachen hattest? [23:56]

GH: Zum Tschechischen auf jeden Fall. [23:59] Ich habe es bis ich fünf Jahre alt war auch ein bisschen gesprochen. [24:04] Dann haben meine Eltern gemeint, wenn sie in die Schule kommt, [24:07] darf sie nicht mit Tschechisch anfangen. [24:09] Da wird sie schlecht in der Schule sein. [24:12] Was natürlich aus heutiger Sicht nicht stimmt, aber damals dachte man das so. [24:17] Ja, ich hatte als erstes eine Russischlehrerin, die wirklich sehr gut war. [24:22] Die hat natürlich das Interesse für Sprachen auch gefördert. [24:26] Später dann nicht mehr. [24:28] Da konnte ich nur weghören. [24:30] Die haben ganz schlecht gesprochen und… Ja. Also… [24:33]

JMc: Und deine Zeit in Moskau, wie ist das zustande gekommen? [24:38]

GH: Naja, ich hatte mich, wie gesagt, [24:41] in Zwickau an der Pädagogischen Hochschule beworben, [24:44] und der Leiter dieser Abteilung konnte mich nicht gleich einstellen, [24:50] weil ich ja die Auflage hatte, an die Schule zu gehen. [24:54] Da war ich ein paar Monate in der Schule. [24:56] Das war furchtbar. [24:58] Und dann hat er diesen Aufenthalt in Moskau für mich organisiert. [25:03] Und da war ich auch an der Universität, [25:08] habe also auch an Lehrveranstaltungen teilgenommen. [25:12] Und konnte aber auch an die Bibliothek gehen [25:18] und mich einfach mit Sprachwissenschaftlern treffen und unterhalten. Ja. [25:24] Das war ein halbes Jahr, das mir wirklich genutzt hat. [25:29]

JMc: Ja, also ich frage mich, wie man das sich vorstellen soll damals. [25:33] Also as war in den 80er Jahren schon, oder… [25:37] als du in Moskau warst? [25:39]

GH: Das war 1979. [25:42]

JMc: 79, OK. [25:44] Also Ende der 70er Jahre. [25:45]

GH: Ja.

JMC: OK. Ja. [25:48] OK. Und man durfte das einfach so machen, [25:52] nach Moskau reisen. [25:53] Also, als jemand aus dem Westen, in Gänsefüßchen, [25:58] stellt man sich immer vor, dass es ganz schwierig war, [26:01] innerhalb des Ostblocks zu reisen, oder… [26:04]

GH: Naja, man konnte auch privat reisen. [26:07] Das war eigentlich gar nicht so schwierig, [26:10] und ich hatte ja eben diesen Grund, [26:13] ich hatte da auch ein Stipendium für diese Zeit. [26:18]

JMc: Und wann hast du Kontakt zu den Kollegen [26:20] in der Bundesrepublik aufgenommen? [26:24] Also ich meine zum Beispiel den Studienkreis. [26:27]

GH: Eigentlich schon sehr früh. [26:30] Ulrich Ricken hatte ja ganz viele Kontakte. [26:34]

JMc: OK. [26:34]

GH: Und er hat auch Kontakte zu Klaus Dutz gehabt. [26:39] Und insbesondere zu Hans-Josef Niederehe in Trier. [26:45] Und das war meine erste Kongressreise. [26:50] 1985 war da ein Kongress in Trier, [26:57] zu dem Niederehe mich eingeladen hat. [27:01] Und das wurde genehmigt. [27:03] Und von da an hatte ich eigentlich Kontakte zu ihm [27:08] und zu Leuten, die ich dort getroffen hatte. [27:10] Ich hatte auch vorher schon eine Einladung [27:14] nach West-Berlin zu einem Kolloquium über die französischen Ideologen. [27:21] Von Jürgen Trabant und Herrn Busse organisiert. [27:27] Die durfte ich nicht wahrnehmen. [27:29] Das war noch zu nah an diesem Rausschmiss in Halle. [27:35] Da hat man mir noch nicht so getraut, [27:38] ob ich da wiederkommen würde. [27:40]

JMc: OK. Und vielleicht eine letzte Frage, [27:43] und zwar interessierst du dich immer noch für die Geschichte der Sprachwissenschaft, [27:48] und meinst du, dass das die einen Wert hat? [27:51] Also dass man immer noch Forschung auf diesem Gebiet machen soll? [27:56]

GH: Auf jeden Fall. [27:58] Ich denke an einen Spruch von Odo Marquard. [28:03] Zukunft braucht Herkunft. [28:06] Also ohne Geschichte kann man zumindest [28:10] eine Geisteswissenschaft nicht vernünftig betreiben. [28:14] Also manche denken das ganz anders. [28:18] Ich sehe es aber so. [28:20] Und man muss verstanden haben, [28:24] wie sich eine Wissenschaft entwickelt hat. [28:28] Ich sehe die Geschichte der Sprachwissenschaft [28:30] auch nicht nur retrospektiv als wichtig an. [28:34] Was natürlich auch schon wichtig ist. [28:37] Manche haben ja einen Retrospektionshorizont, [28:40] der hört bei fünf Jahren oder weniger auf. [28:44] Und die wissen einiges gar nicht, [28:48] was früher geforscht wurde, [28:50] und denken, sie haben neue Erkenntnisse, [28:52] wenn sie etwas behaupten. [28:56] Ich sehe aber die Geschichte der Sprachwissenschaft [28:58] auch prospektiv für wichtig an. [29:01] Man kann Entwicklungen vorhersehen. [29:04] Also zum Beispiel habe ich ja auch zur Informationsstruktur gearbeitet. [29:10] Und da hat es Forschungen gegeben, [29:14] auch in Potsdam, [29:16] die nur mit Experimenten arbeiteten. [29:20] Also den Leuten wurden Sätze vorgegeben, [29:26] und es wurden ihre Reaktionen oder auch die Gehirnströme organisiert. [29:32] Je nachdem, welche Methode da verwendet wurde. [29:38] Und ich habe immer gesagt, das kann letzten Endes nicht funktionieren. [29:44] Sprache funktioniert nicht in einzelnen Sätzen, [29:48] und sie funktioniert nicht unter Laborbedingungen. [29:50] Es sind immer Kontexte gegeben, im weitesten Sinne. [29:57] Und dasselbe hat es eigentlich im 18. Jahrhundert auch schon gegeben. [30:04] Bei der ganzen Diskussion um die Wortfolge [30:10] wurde eine natürliche Wortfolge postuliert, [30:14] zuerst nach rationalistischen Prinzipien, [30:18] also Subjekt, Verb, Objekt. [30:21] Einige haben das dann erkannt, dass das nicht stimmt. [30:25] Sie haben andere Wortfolgen für natürlich erklärt, [30:28] aber immer auf den Satz bezogen, [30:30] nicht auf die kommunikative Funktion des Satzes [30:35] und nicht auf den Kontext bezogen. [30:40] Ja, und diese Forschungen, [30:43] die da so in den 2000er Jahren betrieben wurden, [30:51] die sind letzten Endes genau an diese Grenzen auch gestoßen. [30:54] Also ich würde sagen, das war vorhersehbar. [31:01]

JMc: OK.

GH: Das ist nur ein Beispiel. [31:03]

JMc: Ja, ja, ja.

GH: Das könnte man an mehreren Beispielen so sagen. [31:05]

JMc: Ja. OK. [31:07] Das ist ein ganz guter Schluss zum Gespräch. [31:11] Also vielen Dank für das Gespräch. [31:13]

GH: Ich danke dir. [31:15]

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In this interview, Gerda Haßler discusses her career in Romanistik and the history of linguistics in the DDR and re-united Germany.

Gerda Haßler portrait

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References for Episode 50

Haßler, Gerda. 1984. Sprachtheorien der Aufklärung zur Rolle der Sprache im
Erkenntnisprozeß
. Berlin: Akademie-Verlag.

Haßler, Gerda. 1991. Der semantische Wertbegriff in Sprachtheorien vom 18. bis zum 20.
Jahrhundert
. Berlin: Akademie-Verlag.

Haßler, Gerda. 2016. Temporalität, Aspektualität und Modalität in romanischen Sprachen.
Berlin: De Gruyter.

Haßler, Gerda, und Cordula Neis. 2009. Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin: De Gruyter.

Transcript

JMc: Hi, I’m James McElvenny and you’re listening to the History and Philosophy of the Language Sciences Podcast, online at hiphilangsci.net. [00:21] There you can find links and references to all the literature we discuss. [00:25] Today we’re talking to Gerda Haßler about her life and career in Romanistik and the history of linguistics. [00:33] As with some of our previous interviews, we’ll do this one in German. [00:39] Ja, also ich begrüße jetzt Gerda Haßler. Willkommen im Podcast. [00:43]

GH: Vielen Dank für die Einladung. [00:45]

JMc: Ja. Also ich wollte dich fragen, wie bist du zur Romanistik und Linguistik gekommen und was waren die großen Etappen deiner Karriere? [00:55]

GH: So richtig weiß ich das selber nicht, wie ich dazu gekommen bin. [01:00] Sprachen haben in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. [01:05] Ich habe auch die Dialekte in meiner Umgebung beobachtet. [01:10] In dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, wurde ein sächsisch-thüringischer Mischdialekt gesprochen. [01:16]

JMc: OK. Wo genau war das? [01:18]

GH: In Fraureuth, das ist ein Dorf in der Nähe von Zwickau, also in Sachsen. [01:23]

JMc: Ja. [01:24]

GH: Und meine Großeltern haben Sudetendeutsch gesprochen, meine Eltern nur Hochdeutsch, mit mir, also mit den Großeltern nicht. [01:32] Und das habe ich beobachtet und das hat mich einfach interessiert. [01:35] Außerdem war das Tschechische immer im Hintergrund. [01:38] Und ich habe immer meinen Vater gebeten, mir Sätze in fremden Sprachen vorzusprechen. [01:46] Und ja, also das hat mich schon als Kind interessiert. [01:52] In der Schule hat mir der Fremdsprachenunterricht überhaupt nicht gefallen. [01:57] Aber ich konnte mich immer mit den Lehrern arrangieren und Französisch habe ich selbst gelernt, nicht in der Schule. [02:04] Ja, und ich wusste nicht so richtig, was ich studieren sollte. [02:10] Ich habe eigentlich am meisten Mathematik und Latein gemocht. [02:16] Das war aber überhaupt nicht kombinierbar zu DDR-Zeiten. [02:21] Und Lehrer wollte ich auch nicht werden, es war schwierig. [02:26] Dann wurden uns Studienführer gegeben, die die Studienmöglichkeiten in den einzelnen Universitäten zeigten. [02:36] Und in Halle stand da ein Fach Allgemeine Sprachwissenschaft. [02:41] Das hat mich natürlich interessiert. [02:44] Ich habe da hingeschrieben und wurde auch gleich eingeladen zu einem Professor Ulrich Ricken. [02:51] Das wurde dann auch mein Doktorvater. [02:54] Ja, das Gespräch lief aber nicht so, wie ich mir es gedacht hatte. [02:59] Denn er sagte, diesen Studiengang Allgemeine Sprachwissenschaft gibt es gar nicht mehr, weil der Professor, der ihn verantwortet hatte, also Karl Ammer, kurz vorher gestorben sei. [03:14] Ja, da wusste ich auch nicht richtig, was ich sagen sollte. [03:20] Er hat mir aber dann vorgeschlagen, mich für den Lehramtsstudiengang, [03:26] also Französisch und Russisch immatrikulieren zu lassen. [03:31] Da könnte ich auch Linguistik studieren und müsste nicht Lehrer werden. [03:35] Ich könnte dann schon Romanistik und Slavistik studieren, mit dem Schwerpunkt Linguistik. [03:44] Na ja, ich konnte nicht anders, ich habe mich darauf eingelassen. [03:48] Und das ist dann auch so gekommen. [03:52] Also nach einem Jahr eines ziemlich langweiligen Studiums [03:58] habe ich einen Sonderstudienplan bekommen und konnte studieren, wie ich mir das vorgestellt habe. [04:06] Nach drei Jahren habe ich das Studium abgeschlossen [04:10] und wurde Assistentin im Wissenschaftsbereich Allgemeine Sprachwissenschaft, [04:18] den Ulrich Ricken übernommen hatte kurz vorher. [04:23] Ja, es war aber nicht so, dass ich da gleich an meiner Dissertation arbeiten konnte. [04:34] Ich musste sehr viel Technisches machen. [04:38] Ich musste Bücher bestellen, abholen, Diktate aufnehmen auf Französisch, [04:45] was die Sekretärinnen natürlich nicht konnten. [04:49] Und mit dem Dissertationsthema war es so, [04:54] dass das eigentlich an einem Forschungskollektiv Sprache und Gesellschaftsbild angelagert sein sollte. [05:03] Das war zu DDR-Zeiten so. [05:06] Da musste man etwas gesellschaftlich Relevantes forschen. [05:12] Es liefen mehrere Dissertationen dazu. [05:16] Die untersuchten also Klassenbezeichnungen in literarischen Werken. [05:22] Und ich sollte zu La Bruyère eine Dissertation schreiben. [05:27] Hat mir natürlich nicht besonders gefallen. [05:33] La Bruyère ist auch sehr erforscht von Literaturwissenschaftlern. [05:38] Da hätte ich garantiert nichts Neues finden können. [05:42] Und ich habe gedacht, aber so ein bisschen kann ich das, was mich interessiert, vielleicht doch anwenden. [05:50] Ich war damals wirklich sehr strukturalistisch orientiert. [05:55] Das habe ich mir selber angelesen. [05:57] Also ich erinnere mich noch, als ich mit 20 Jahren die Ausgabe von Engler [06:06] des Cours de linguistique générale gelesen habe [06:10] und darin festgestellt habe, dass der publizierte Cours etwas ganz anderes ist. [06:17] Also ich war sehr von strukturalistischen Werken beeinflusst. [06:24] Ich habe natürlich auch Martinet, Potier, Bierwisch und andere gelesen. [06:30]

JMc: Wobei Bierwisch sich mit der generativen Grammatik schon auseinandergesetzt hatte. [06:34]

GH: Ja, ja, natürlich.

JMc: Ja. [06:37]

GH: Ich war auch ein bisschen Generativistin. [06:40] Das habe ich mir auch selbst so angeeignet. [06:44] Ja, aber Ricken kam dann nach kurzer Zeit, als er mir dieses Thema gegeben hatte [06:52] und hat gesagt, ja so ganz habe ich da wohl Ihre Interessen nicht getroffen damit [06:58] und ich könnte doch auch zur Geschichte des sprachlichen Relativitätsprinzips arbeiten. [07:05] Da war ich natürlich sofort einverstanden damit und habe auch begonnen, [07:12] habe die Dissertation eigentlich zügig geschrieben. [07:16] Es kam aber dann dazu, dass ich diesen Bereich verlassen musste, [07:25] weil ich Kritik daran geübt hatte, dass wir praktisch keine inhaltlichen Gespräche hatten, [07:33] dass wir nur über technische Sachen geredet haben. [07:37] Da war ich dann ein Jahr an der Slavistik tätig, habe also Russischunterricht gemacht, nicht mehr. [07:45] Das hat mich aber insofern gerettet, als ich Zeit hatte, meine Dissertation abzuschließen. [07:51]

JMc: Und war das Thema gesellschaftlich relevant? Also, sprachliche Relativität. [07:58]

GH: Nein, nein, nein, war nicht relevant. [08:02] Ich habe es ja nicht in dem Sinne behandelt, wie etwa der Erhard Albrecht aus Greifswald es gemacht hat. [08:09] Der hat ja immer nur gegen Weißgerber und andere argumentiert und das war alles ziemlich flach. [08:17] Ich habe ja eigentlich im 17. Jahrhundert begonnen mit Locke [08:23] und dann insbesondere das 18. Jahrhundert bearbeitet und schließlich bis Humboldt. [08:29] Also das war eigentlich völlig randständig, das war in der DDR nicht so angesehen. [08:37] War mir auch egal. [08:40] Ja, dann hatte ich eigentlich keine Chance, an einer Universität angestellt zu werden. [08:47] Ich hatte durch diese Kritik also einen Makel und sollte mich in der Schule bewerben, [08:54] wo ich eigentlich keine Chancen sah. [08:57] Ich war keine Lehrerin, [09:00] und ich habe mich an der Pädagogischen Hochschule Zwickau beworben, [09:06] wo es einen Sprachwissenschaftler gab, der die Abteilung Fremdsprachen geleitet hat, [09:14] und der war sofort überzeugt von dem, was ich vorstellte und hat eine Stelle für mich organisiert. [09:23] Dort habe ich dann auch meine Dissertation B, also die Habilschrift, begonnen. [09:32] Und ich war auch ein halbes Jahr in Moskau, wo ich viel in der Bibliothek gearbeitet habe, [09:40] auch mit bekannten Sprachwissenschaftlern Kontakt hatte, die mir auch geholfen haben. [09:48] Und ja, Ulrich Ricken wollte mich ja zurück nach Halle haben. [09:54] Es ging nicht so einfach. Auf eine Stelle konnte er mich nicht einstellen. [10:00] Er hat aber eine B-Aspirantur, also eine Aspirantur, ein Habilitationsstipendium, [10:12] über drei Jahre für mich bekommen. [10:15] Und ich bin dann auch nach Halle. [10:18] Viele haben das nicht verstanden, weshalb ich eine unbefristete Stelle an einer Hochschule aufgegeben habe [10:25] und dann für ein Stipendium nach Halle gegangen bin. [10:30] Ja, die Dissertation B war ja schon so halbfertig in Zwickau. [10:38] Nach anderthalb Jahren konnte ich sie auch einreichen. [10:42] Ich musste trotzdem noch ein Jahr auf dieser Aspirantur bleiben, [10:47] bis ich dann zur Dozentin berufen wurde. [10:51] Dozent ist heute jeder, der an einer Universität lehrt. [10:56] Damals war das so ähnlich wie heute eine W2-Stelle, [11:01] also eine Professur, noch nicht des höchsten Grades, aber man konnte selbstständig arbeiten. [11:09] Ich wurde dann auch gleich Leiterin des Wissenschaftsbereichs Romanistik. [11:16] Ich muss vielleicht noch sagen, wie ich mir die romanischen Sprachen angeeignet habe. [11:22] Eigentlich alles im Selbststudium mit Tonträgern, mit Radio und Büchern. [11:32] Ich war nie ein Kurstyp. [11:36] Das hat mich genervt, in Kursen Sprachen zu lernen. [11:41] Ja, also ich habe dann die Romanistik geleitet, [11:47] habe auch Studiengänge für Spanisch und Italienisch entwickelt. [11:54] Bis dahin war es einfach ein Lehrbereich Französisch. [11:58] Es war kein Habilitierter außer mir da. [12:02] Es gab Habilitierte, die waren aber verschwunden. [12:07] Ulrich Ricken hat die allgemeine Sprachwissenschaft geleitet [12:10] und ein Literaturwissenschaftler war in Paris am Kulturzentrum [12:17] und einer war in der Sektionsleitung. [12:20] Und also… [12:22] Die wissenschaftliche Leitung lag dann nur bei mir. [12:27] Ich habe mich dann auch von meinen Forschungsthemen her eigentlich umgestellt. [12:34] Ich wollte dazu forschen, was ich in der Lehre brauchte [12:38] und Geschichte der Sprachwissenschaft war nicht unbedingt so für die Lehre geeignet. [12:45] Ich muss noch dazu sagen, das Thema meiner Dissertation B, [12:50] also der Habilitationsschrift, war ja der semantische Wertbegriff [12:55] vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. [12:58] Also wieder etwas wissenschaftshistorisches. [13:02] Damals war mir überhaupt nicht klar, dass das eigentlich für eine Karriere tödlich ist. [13:08]

JMc: [lacht] [13:09]

GH: Zwei Qualifikationsschriften. [13:13]

JMc: Ja, ich kann ein Lied davon singen. Ja. [lacht] [13:16]

GH: Mir war das völlig egal. [13:19] Es hat mich interessiert. Ich habe dazu gearbeitet. [13:23] Und in der DDR war das auch nicht so. [13:27] Also da konnte man sich das so leisten. [13:30] Und ja, ich wollte also zu etwas forschen, was ich für die Lehre gebrauchen konnte. [13:41] Und da haben mir eigentlich poststrukturalistische Themen gefallen. [13:48] Also ich habe viel zur Intertextualität damals gearbeitet, [13:53] also zu Merkmalen des Zitierens anderer Texte, [13:59] die nicht so vordergründig sind, [14:02] und auf diesem Wege bin ich dann auch zur Evidenzialität gekommen. [14:08] Evidenzialität ist ja die Markierung der Herkunft des Sprecherwissens. [14:15] Das hat mich also schon, ich möchte sagen so, am Ende der 80er-Jahre interessiert. [14:23] Dazu gekommen zu arbeiten, bin ich natürlich erst später. [14:27] Ich hatte in Halle sehr viel administrative Arbeit. [14:34] Man musste ja alles begründen, für alles Anträge stellen. [14:37] Das hat mich Tag und Nacht sozusagen beschäftigt. [14:41] Und dann kam die Wende. Das war noch mal ein Einschnitt. [14:47] Von den am Institut für Romanistik Beschäftigten in Halle ist eine einzige dort geblieben. [14:56] Die meisten wurden aus politischen Gründen entlassen. [15:02] Und diejenigen, die habilitiert waren, also nicht nur Romanisten, [15:07] sondern generell, wurden als Privatdozenten angesehen. [15:14] Also die hatten dann keine Stelle. [15:17] Das war einfach… Das Wort Dozent wurde als Kriterium genommen. [15:27] Die wurden entlassen, sobald Professoren berufen waren. [15:32] Professoren wurden sowieso meistens entlassen, [15:34] es sei denn sie waren kurz vor der Pensionierungsgrenze. [15:39] Da wurden einige übernommen, weil man ja Personal brauchte, [15:43] dass die Universität am Laufen hält. [15:47] Aber nicht aus der Romanistik. [15:48] Da gab es, wie gesagt, nur eine, [15:53] die dann sozusagen die Organisation des Instituts gemacht hat. [15:59] Also so eine Art wissenschaftliche Sekretärin. [16:02] Ja, also ich habe mich damals in Portugal beworben, [16:07] wo ich viele Kontakte hin hatte. [16:10] Da hätte ich auch hingehen können. [16:13] Ich war sozusagen schon auf dem halben Weg. [16:17] Und dann erreichte mich ein Telefonat von meinem Vater. [16:24] Der hat mir gesagt, es ist ein Brief gekommen. [16:29] Da steht drin, dass du einen Ruf nach Dresden hast. [16:34] War ich natürlich sehr froh, aber auch sehr überrascht. [16:38] Denn ich hatte mich beworben. [16:40] Ich hatte auch ein paar Publikationen hingeschickt. [16:42] Ich habe aber nicht vorgetragen. [16:45] Die haben damals das Institut neu aufgebaut [16:49] und sie haben einfach Leute, von denen sie wussten, [16:53] dass sie arbeiten können, berufen. [16:59] Das hing wahrscheinlich damit zusammen, [17:04] dass das Institut in Halle vom damaligen Präsidenten [17:09] der Deutschen Forschungsgemeinschaft, [17:12] Wolfgang Frühwald, evaluiert wurde. [17:16] Und den konnte ich irgendwie überzeugen. [17:22] Er war auch in der Berufungskommission in Dresden. [17:25] Daher stelle ich nach wie vor diese Verbindung her. [17:31] Ja, und dann bin ich nach Dresden gegangen [17:35] und in einem knappen Jahr danach kam dann der Ruf nach Potsdam. [17:41]

JMc: Und war Potsdam irgendwie besser als Dresden? [17:45]

GH: Naja, Dresden ist eine technische Universität. [17:48] Es war mir von vornherein klar, [17:51] dass die Romanistik randständig würde. [17:55] Und dann kommt hinzu, [17:58] dass in Sachsen Leute aus dem Osten nicht verbeamtet wurden. [18:03] Ich war ja noch nicht so alt, [18:06] dass ich mich hätte verbeamtet werden können. [18:10] Die hätten mich jederzeit rausschmeißen können. [18:12] Das war mir nach den Erfahrungen in Halle [18:17] auch nicht so geheuer. [18:21] An sich war das Klima in Dresden gut. [18:23] Auch der Dekan hat sich sehr dafür eingesetzt, [18:26] auch dass ich dahin komme. [18:28] Er hat es aber dann verstanden, [18:30] dass ich nach Potsdam gegangen bin. [18:33]

JMc: Und wann ist Potsdam zu einer Uni geworden? [18:35] Das war damals eine pädagogische Hochschule, oder? [18:38]

GH: 1991 ist die Universität gegründet worden. [18:43] Und es wurden eben auch neue Fächer eingerichtet. [18:45] Romanistik gab es vorher nicht. [18:48] Und da gab es eine Gründungsprofessorin. [18:52] Das war eine Literaturwissenschaftlerin. [18:55] Und ich kam dann zwei Jahre später, also 93, dazu. [18:59] Ja, da habe ich erst mal diese Forschungen eigentlich zu Sachen, [19:05] die ich in der Lehre brauchen konnte, fortgesetzt. [19:08] Ich habe damals viel Textlinguistik gemacht. [19:11] Sachen, die ich heute zum Teil kritisch sehe. [19:15] Obwohl es für die Lehre es ganz gut war. [19:18] Und ich habe erst mal so gut wie nicht [19:23] Geschichte der Sprachwissenschaft gemacht, [19:25] weil ich ja begriffen habe, [19:27] dass das in Deutschland keine Zukunft hat [19:31] und dass man einen anderen Schwerpunkt haben sollte. [19:38] Ich würde meinen Zugang zur Sprachwissenschaft [19:44] nach wie vor als strukturalistisch geprägt ansehen, [19:50] aber ich habe auch viele poststrukturalistische Elemente aufgenommen, [19:55] und ich würde ihn auch als funktional betrachten. [19:58] Also ich habe zu funktionalen Kategorien gearbeitet. [20:03] Zur Aspektualität, zur Modalität. [20:07] Eben auch zur Evidenzialität. [20:09] Und ja, dazu habe ich dann auch viel publiziert. [20:15] Über Jahre fast ausschließlich. [20:20] Dann habe ich mich auch wieder [20:22] der Geschichte der Sprachwissenschaft zugewandt. [20:26] Das hing einfach damit zusammen, [20:28] dass ich eingeladen wurde zu Vorträgen [20:31] und auch zu Publikationen. [20:34] Einladungen, die ich nicht ausschlagen konnte. [20:37] Und dann habe ich gedacht, [20:40] dass man eigentlich zu den Grundbegriffen [20:44] des 17. und 18. Jahrhunderts [20:47] auch mal etwas Systematisches schreiben sollte. [20:51] Daraus ist dann das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe [20:56] des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden, [21:00] das ich ja gemeinsam mit Cordula Neis geschrieben habe. [21:05] Das ist kein Wörterbuch. [21:07] Manche denken, es ist ein Wörterbuch. [21:09] Es sind also monografische Artikel zu einzelnen Begriffen. [21:14] Und es ist wirklich begrifflich orientiert, [21:17] geht nicht von Bezeichnungen aus. [21:20] Cordula Neis war eine meiner ersten Doktorandinnen in Potsdam. [21:27] Sie hat sich von vornherein auch für die Geschichte der Sprachwissenschaft interessiert, [21:35] hat zu der Berliner Preisfrage zum Ursprung der Sprache [21:39] ihre Dissertation geschrieben. [21:41] Das sah ich erst mal als nicht so problematisch an. [21:47] Sie hätte ja dann noch eine andere Habilschrift schreiben können. [21:53] Aber dann hat sie zwei Kinder gekriegt [21:56] und es blieb dann auch bei der Geschichte der Sprachwissenschaft, [22:02] hat sich also kumulativ habilitiert, [22:06] was ihr zum Glück nicht zum Schaden wurde, [22:10] denn sie hat trotzdem eine Professur bekommen. [22:13]

JMc: Ja, und eine ganz gute. [lacht] [22:16]

GH: Aber ich würde es eben niemandem raten, es so zu machen. [22:22]

JMc: [lacht] Ja, und die Einladungen, die du bekommen hast, [22:28] zu der Zeit, waren die aus dem Ausland oder aus Deutschland? [22:31]

GH: Aus dem Ausland.

JMc: OK. [22:33]

JMc: Aus Frankreich hauptsächlich? [22:34]

GH: Aus Frankreich, Spanien, aus Portugal natürlich. [22:38]

JMc: OK. [22:38]

GH: Ich habe die Beziehung zu Portugal nie wirklich aufgegeben. [22:43] Ich habe sogar noch drei, vier Jahre lang dort gelehrt. [22:47] Ich wollte mir das offen halten. [22:49] Ich habe Deutschland nicht getraut, [22:52] also ich war immer so mit einem Fuß in Portugal in den 90er-Jahren. [22:57]

JMc: Also die Kollegen in Frankreich, [23:01] also das sind hauptsächlich die Leute da in Paris, oder? [23:05]

GH: Eigentlich weniger, die die Geschichte der Sprachwissenschaft betreiben. [23:15] Ich hatte viele Kontakte nach Paris-Nanterre. [23:20] Und auch nach Grenoble, eine Zeit lang auch zu anderen Universitäten, [23:28] also natürlich auch zu dem Laboratoire in Paris. [23:37]

JMc: Ja, OK. [23:39] Und ich wollte dich auch noch fragen, [23:42] du hast Französisch hauptsächlich selbst gelernt, [23:45] aber wie war es mit dem Russischen? [23:48] Also du meintest, Tschechisch war immer so im Hintergrund, [23:51] als du aufgewachsen bist. [23:52] Heißt das, dass du schon Kontakt zu den slawischen Sprachen hattest? [23:56]

GH: Zum Tschechischen auf jeden Fall. [23:59] Ich habe es bis ich fünf Jahre alt war auch ein bisschen gesprochen. [24:04] Dann haben meine Eltern gemeint, wenn sie in die Schule kommt, [24:07] darf sie nicht mit Tschechisch anfangen. [24:09] Da wird sie schlecht in der Schule sein. [24:12] Was natürlich aus heutiger Sicht nicht stimmt, aber damals dachte man das so. [24:17] Ja, ich hatte als erstes eine Russischlehrerin, die wirklich sehr gut war. [24:22] Die hat natürlich das Interesse für Sprachen auch gefördert. [24:26] Später dann nicht mehr. [24:28] Da konnte ich nur weghören. [24:30] Die haben ganz schlecht gesprochen und… Ja. Also… [24:33]

JMc: Und deine Zeit in Moskau, wie ist das zustande gekommen? [24:38]

GH: Naja, ich hatte mich, wie gesagt, [24:41] in Zwickau an der Pädagogischen Hochschule beworben, [24:44] und der Leiter dieser Abteilung konnte mich nicht gleich einstellen, [24:50] weil ich ja die Auflage hatte, an die Schule zu gehen. [24:54] Da war ich ein paar Monate in der Schule. [24:56] Das war furchtbar. [24:58] Und dann hat er diesen Aufenthalt in Moskau für mich organisiert. [25:03] Und da war ich auch an der Universität, [25:08] habe also auch an Lehrveranstaltungen teilgenommen. [25:12] Und konnte aber auch an die Bibliothek gehen [25:18] und mich einfach mit Sprachwissenschaftlern treffen und unterhalten. Ja. [25:24] Das war ein halbes Jahr, das mir wirklich genutzt hat. [25:29]

JMc: Ja, also ich frage mich, wie man das sich vorstellen soll damals. [25:33] Also as war in den 80er Jahren schon, oder… [25:37] als du in Moskau warst? [25:39]

GH: Das war 1979. [25:42]

JMc: 79, OK. [25:44] Also Ende der 70er Jahre. [25:45]

GH: Ja.

JMC: OK. Ja. [25:48] OK. Und man durfte das einfach so machen, [25:52] nach Moskau reisen. [25:53] Also, als jemand aus dem Westen, in Gänsefüßchen, [25:58] stellt man sich immer vor, dass es ganz schwierig war, [26:01] innerhalb des Ostblocks zu reisen, oder… [26:04]

GH: Naja, man konnte auch privat reisen. [26:07] Das war eigentlich gar nicht so schwierig, [26:10] und ich hatte ja eben diesen Grund, [26:13] ich hatte da auch ein Stipendium für diese Zeit. [26:18]

JMc: Und wann hast du Kontakt zu den Kollegen [26:20] in der Bundesrepublik aufgenommen? [26:24] Also ich meine zum Beispiel den Studienkreis. [26:27]

GH: Eigentlich schon sehr früh. [26:30] Ulrich Ricken hatte ja ganz viele Kontakte. [26:34]

JMc: OK. [26:34]

GH: Und er hat auch Kontakte zu Klaus Dutz gehabt. [26:39] Und insbesondere zu Hans-Josef Niederehe in Trier. [26:45] Und das war meine erste Kongressreise. [26:50] 1985 war da ein Kongress in Trier, [26:57] zu dem Niederehe mich eingeladen hat. [27:01] Und das wurde genehmigt. [27:03] Und von da an hatte ich eigentlich Kontakte zu ihm [27:08] und zu Leuten, die ich dort getroffen hatte. [27:10] Ich hatte auch vorher schon eine Einladung [27:14] nach West-Berlin zu einem Kolloquium über die französischen Ideologen. [27:21] Von Jürgen Trabant und Herrn Busse organisiert. [27:27] Die durfte ich nicht wahrnehmen. [27:29] Das war noch zu nah an diesem Rausschmiss in Halle. [27:35] Da hat man mir noch nicht so getraut, [27:38] ob ich da wiederkommen würde. [27:40]

JMc: OK. Und vielleicht eine letzte Frage, [27:43] und zwar interessierst du dich immer noch für die Geschichte der Sprachwissenschaft, [27:48] und meinst du, dass das die einen Wert hat? [27:51] Also dass man immer noch Forschung auf diesem Gebiet machen soll? [27:56]

GH: Auf jeden Fall. [27:58] Ich denke an einen Spruch von Odo Marquard. [28:03] Zukunft braucht Herkunft. [28:06] Also ohne Geschichte kann man zumindest [28:10] eine Geisteswissenschaft nicht vernünftig betreiben. [28:14] Also manche denken das ganz anders. [28:18] Ich sehe es aber so. [28:20] Und man muss verstanden haben, [28:24] wie sich eine Wissenschaft entwickelt hat. [28:28] Ich sehe die Geschichte der Sprachwissenschaft [28:30] auch nicht nur retrospektiv als wichtig an. [28:34] Was natürlich auch schon wichtig ist. [28:37] Manche haben ja einen Retrospektionshorizont, [28:40] der hört bei fünf Jahren oder weniger auf. [28:44] Und die wissen einiges gar nicht, [28:48] was früher geforscht wurde, [28:50] und denken, sie haben neue Erkenntnisse, [28:52] wenn sie etwas behaupten. [28:56] Ich sehe aber die Geschichte der Sprachwissenschaft [28:58] auch prospektiv für wichtig an. [29:01] Man kann Entwicklungen vorhersehen. [29:04] Also zum Beispiel habe ich ja auch zur Informationsstruktur gearbeitet. [29:10] Und da hat es Forschungen gegeben, [29:14] auch in Potsdam, [29:16] die nur mit Experimenten arbeiteten. [29:20] Also den Leuten wurden Sätze vorgegeben, [29:26] und es wurden ihre Reaktionen oder auch die Gehirnströme organisiert. [29:32] Je nachdem, welche Methode da verwendet wurde. [29:38] Und ich habe immer gesagt, das kann letzten Endes nicht funktionieren. [29:44] Sprache funktioniert nicht in einzelnen Sätzen, [29:48] und sie funktioniert nicht unter Laborbedingungen. [29:50] Es sind immer Kontexte gegeben, im weitesten Sinne. [29:57] Und dasselbe hat es eigentlich im 18. Jahrhundert auch schon gegeben. [30:04] Bei der ganzen Diskussion um die Wortfolge [30:10] wurde eine natürliche Wortfolge postuliert, [30:14] zuerst nach rationalistischen Prinzipien, [30:18] also Subjekt, Verb, Objekt. [30:21] Einige haben das dann erkannt, dass das nicht stimmt. [30:25] Sie haben andere Wortfolgen für natürlich erklärt, [30:28] aber immer auf den Satz bezogen, [30:30] nicht auf die kommunikative Funktion des Satzes [30:35] und nicht auf den Kontext bezogen. [30:40] Ja, und diese Forschungen, [30:43] die da so in den 2000er Jahren betrieben wurden, [30:51] die sind letzten Endes genau an diese Grenzen auch gestoßen. [30:54] Also ich würde sagen, das war vorhersehbar. [31:01]

JMc: OK.

GH: Das ist nur ein Beispiel. [31:03]

JMc: Ja, ja, ja.

GH: Das könnte man an mehreren Beispielen so sagen. [31:05]

JMc: Ja. OK. [31:07] Das ist ein ganz guter Schluss zum Gespräch. [31:11] Also vielen Dank für das Gespräch. [31:13]

GH: Ich danke dir. [31:15]

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